Fritz-Walter-Stiftung

28.04.2014

Jubiläumsausstellung "Das Wunder von Bern" in Spiez vom 28. April bis 30. September 2014

Strandhotel Belvédère Spiez

Ungarn wird auf ewig Trauer tragen
Von Hans-Peter Schössler

Es ist Ende April 2o14, ein warmer Tag. Wir blicken von der Terrasse des „Hotel Belvedere im schweizerischen Spiez auf die imponierenden Berge des Berner Oberlandes. Vor uns liegt der Thuner See. In diesem Hotel war die deutsche Fußball-Nationalmannschaft 1954 zu Gast, um sich auf die WM und das große Finale am 4.Juli im Berner Wankdorfstadion vorzubereiten.

Mein Gast und Freund war damals nicht in diesem Hotel. Es ist Jenö Buzanski, rechter Verteidiger der Ungarn, dem Vizeweltmeister. Die Ungarn wohnten in Solothurn, zwischen Spiez und Bern, nicht einmal so weit weg von den Deutschen.

60 Jahre danach möchte Jenö Buzanski über alles sprechen, aber bitte nicht über dieses Endspiel, nicht über das 3:2 der Deutschen, diesen Sieg, an den niemand geglaubt hatte, der für die Ungarn völlig undenkbar war, ein deutscher Sieg, der für Ungarn die schlimmste Niederlage in ihrer Fußballgeschichte darstellte. Das sei schlimmer gewesen als der politische Aufstand 1956 hat mir vor Jahren einmal ein Ungar in Budapest erzählt. Und Buzanski denkt nicht anders. Wie oft hat er mir davon erzählt, dass Ungarn 1952 in Helsinki Olympiasieger im Fußball wurde. Die Goldene Mannschaft ist bis heute die berühmteste der Ungarn geblieben. Und dann 1953 der 6:3 Sieg im Londoner Wembleystadion gegen England. Nach 9o Jahren verlieren die Engländer zum ersten Mal auf der Insel. Natürlich gegen Ungarn, die Unbesiegbaren dieser Zeit. Und dann die WM in der Schweiz. Es gibt ein 8:3 der Ungarn in der Vorrunde gegen Deutschland. Klar, einige der guten Deutschen fehlten, später wurde das als der große Schachzug von Herberger beschrieben , aber Fritz Walter war dabei. Es war den Ungarn auch egal, wer beim Gegner spielte. Sie waren so sehr von sich und ihrem Können überzeugt, dass der Gegner ohnehin nur Spielpartner war.

Buzanski, der am 4.Mai 2o14 9o Jahre alt wird, der Bergarbeiter aus Dorog im Komitat Komarom-Esztergom, der der einzige ungarische Spieler war, der nicht bei einem der großen Budapester Vereine spielte so wie die Puskas, Kosicz, Grosicz, Czibor, Toth, Lorant oder Hidekutti, Jenö Buzanski leidet immer noch darunter, was sie ihren Fans und dem ganzen Land Ungarn angetan haben. Dieser einkalkulierte Weltmeistertitel sollte mehr als nur ein sportlicher Erfolg sein, er sollte der Welt zeigen, wie groß und bedeutend dieses kleine Ungarn mit seinem unglaublich großen Herzen für den Fußball sein konnte.

Wir mussten uns bei der Rückkehr aus dem Flughafen schleichen und wir haben uns versteckt. In jedem anderen Land der Welt wären wir als Vizeweltmeister gefeiert worden. In Ungarn waren wir Verlierer und Verräter. Buzanskis Leiden ist 2o14 im Berner Oberland nicht zu Ende und wird es bis zu seinem Tod nicht sein. Nur er und Torwart Gyula Grosicz leben noch, aber Grosicz ist schwer erkrankt. So kann nur noch Buzanski erzählen, warum die Ungarn 1954 nicht Weltmeister im Fußball geworden sind.

In Ungarn hat mir einmal ein Spieler erzählt, das Land komme erst dann mit dem Erinnern an 1954 zur Ruhe, wenn keiner der Spieler mehr lebe und davon erzählen könne. Solange muss Jenö Buzanski es ertragen, dass das Spiel von Bern noch nicht zu Ende ist.

Dabei hat der Ungar längst seinen Frieden mit den deutschen Spielern gemacht. Oft haben sie sich in den letzten Jahrzehnten getroffen. Seinen Gegenspieler Hans Schäfer hat er gesehen und vor allem die Lauterer Fritz und Ottmar Walter, auch Werner Liebrich und vor allem Horst Eckel. Sie sind Freunde geworden, trafen sich in beiden Ländern und vermieden es, über Triumph und Schande in einem Fußballspiel zu sprechen.

Im „Hotel Belvedere begegnen sich Buzanski und Eckel. Sie schätzen und mögen sich. Auch Horst Eckel ist meist der einzige, der vom Erfolg der Deutschen erzählen kann. Der Kölner Hans Schäfer, neben Eckel der einzig noch lebende, hat sich weitgehend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen.

Eckel war der Jüngste 1954. Auch mit ihm sitze ich in der Sonne der Berner Alpen. Er kann sich an jeden Tag in diesem Hotel erinnern. Eine Tischtennisplatte gab es als einzige sportliche Abwechslung. Kraftraum oder ähnliches kannte niemand, nicht einmal Herberger. Vom Hotel fuhr man 1954 zum Training und zu den Spielen. Oder es gab die berühmten Spaziergänge am Thuner See. Hier führte Herberger seine Einzelgespräche mit den Spielern. Dabei erfuhren die auch, wer spielen würde. Herberger sprach mit jedem, zuletzt mit Fritz Walter. Der Kapitän wusste immer ein wenig mehr als die anderen. Im Hotel bastelte Adi Dassler an seinen Schuhen. Erstmals hatte er für diese WM und die deutschen Spieler abschraubbare Stollen erfunden, die im Regen des Berner Endspiels von großem Nutzen waren. Ob einige der Spieler auch schon einmal ausgebüchst sind mit dem Boot und Bier an Bord auf den See, das wollte Horst Eckel nicht mehr wissen. Aber vorstellen kann er sich das schon. Und Boss Rahn war dann sicher dabei, meint er.

Horst Eckels Reise in die Vergangenheit lässt ihn den 4.Juli 1954 noch einmal durchleben. In der Nacht haben sie alle schlecht geschlafen. Das Frühstück wird hineingezwängt. Es folgt die erste Besprechung mit dem Trainer. Jetzt erfahren sie, wer spie lt. Im Hotel gibt es das Mittagessen. Suppe, Fleisch, Gemüse und Kartoffeln. Ob es geschmeckt hat, weiß er nicht mehr. Mit dem Bus geht es die So Kilometer nach Bern. Wankdorfstadion, heute das „Stade de Suisse.

Das Finale. Deutschland wird mit 3:2 gegen die für unschlagbar gehaltenen Ungarn Fußball-Weltmeister.

An was die Ungarn gescheitert sind, wollen wir 60 Jahre danach nicht mehr aufarbeiten. Buzanski sucht nicht nach Antworten. War die 2:o Führung der Ungarn zu schnell, hatte man die Deutschen so unterschätzt.

Jenö Buzanski weiß nur eines: wir haben verloren. Wir sind nicht Weltmeister geworden, sagt er und fügt hinzu: genau das hat jeder Ungar von uns erwartet. Für die Deutschen war das Wunder von Bern nicht nur ein Fußballsieg, es war Aufbruch und Wende zugleich. Aus den Trümmern des Krieges entstand eine neue Nation. Und der Fußball hatte einen großen Beitrag geleistet.

Ende April 2o14 im Hotel Belvedere in Spiez am Thuner See regnet es nicht, so wie beim Endspiel 1954 in Bern. Kein Fritz Walter Wetter. Er und der große Puskas leben nicht mehr. Aber für einen anderen Ungarn, der längst ein Freund geworden ist, wird der 4. Juli 1954 immer ein Tag der Tränen sein. Nie zuvor und nie danach war der Titel eines Vizeweltmeisters so wenig wert.


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